»Essen hat für mich – wie vielleicht für einige von euch – einen besonderen Stellenwert im Leben. Ich liebe es neue Gerichte auszuprobieren, in meinen Kochbüchern zu schmökern, das nächste Rezept herauszusuchen, mich mit Freund:innen darüber auszutauschen, für andere zu kochen oder mich mit meinen Liebsten im Restaurant auf ein gutes Essen zu treffen.
Umso schlimmer war es für mich, als ich im Sommer 2023 immer weniger essen konnte, kaum noch etwas vertrug (bis auf Haferbrei und trockenes Brot) und mein Gewicht immer weiter sank. Bis zu meiner überraschenden Diagnose mit einem hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphom war ich in ein extremes Untergewicht gerutscht. Ich nenne absichtlich keine Zahlen, weil ich niemanden triggern möchte. Die Prognosen standen auf jeden Fall nicht besonders gut, denn die Ärzt:innen sagten mir, dass mir nur noch bis September bleiben könnte, falls die Behandlungen nicht anschlagen sollten.
Ich hatte jedoch Glück, mein Körper vertrug die ersten Eingriffe und Chemotherapie, und ab da war der Appell der Ärzt:innen, dass ich dringend versuchen sollte zuzunehmen – egal wie. Das war gar nicht so einfach für mich, denn mein Appetit wollte einfach nicht zurückkommen. Während ich zuvor super gerne Kochsendungen wie ›Das Perfekte Dinner‹, ›The Taste‹ oder ›Chef’s Table‹ schaute, sowie oft am Durchblättern von Kochbüchern war, wollte ich mich so gar nicht mehr mit Essen befassen. Mein Körper und mein Geist schienen von sich aus einfach nicht essen zu wollen und zu können. Allein würde ich das nicht hinbekommen. Meine Lieblingsmenschen sahen meinen inneren Kampf und taten sich für mich zusammen: Das Projekt ›Auf der Suche nach Jowis Appetit‹ wurde gestartet.
Mein Bruder, der in der Zeit meiner Therapie vorübergehend bei mir wohnte, sowie mein Freund, hatten sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, als sie beschlossen, mich zu unterstützen. Es wurde ausnahmslos gekocht, bestellt und gegessen, worauf ich Lust hatte, wenn ich Zuhause war. Früh stand mein Bruder auf und holte mir von meinem Lieblingsbäcker, was ich wollte, während mein Freund – ein sehr guter Koch – zauberte worauf ich Lust hatte: Suppen, Eintöpfe, Pizza, Hausmannskost, aber auch abstruse Speisen wie Pommes mit Wienern. Als mein Freund innerhalb der Woche auf der Arbeit war, bereitete mir meine Mama meine Lieblingsgerichte aus der Kindheit zu (Königsberger Klopse mit Kartoffeln oder Pierogi) und mein Vater brachte sie mir vorbei. Während der ganzen Zeit wurde Rücksicht darauf genommen, wenn ich nicht essen konnte oder wollte, auch weil das Geschmacksempfinden sich während der Chemotherapie verändern kann. Umso mehr freuten wir uns über jeden Bissen, den ich herunter bekam, sei dies gemeinsam am Tisch oder allein auf der Couch, denn manchmal war ich einfach zu schwach, um zusammen mit den anderen am Tisch zu essen.
Während der Behandlungen im Krankenhaus etablierten meine Mama und ich ein ›Kaffeekränzchen‹ am späten Vormittag, zu dem sie stets einen Kuchen mitbrachte, und meine beste Freundin Steffi rief mich jeden Mittwoch – den ich während der Chemotherapien im Krankenhaus verbrachte – auf ein gemeinsames ›Eisdate‹ an. Das tolle Team der Onkologie versorgte mich nämlich regelmäßig mit Eis, und somit saßen Steffi und ich vor unserer Kamera und schleckten gemeinsam ein Eis.
Nach und nach fiel mir das Essen immer leichter und ich hatte wieder Freude daran, das Essen mit anderen am Tisch zu teilen. Und das Gewicht auf der Waage stieg. Am Ende meiner Chemotherapien, die ein halbes Jahr andauerten, hatte ich ganze 8 Kilo zugenommen!Und tatsächlich schaffte ich es auch, zwischen den letzten zwei Chemozyklen wieder zu kochen. Es war unheimlich anstrengend für mich, ich schwitzte, das Schneiden fiel mir schwer, ich bekam Dosen und Gläser nicht alleine auf und ich konnte nur wenige Minuten ohne Schwindel stehen. Aber ich setzte mich zwischendurch einfach immer wieder hin und kämpfte mich durch. Und was soll ich sagen: Verlernt habe ich das Kochen nicht und ich war auch richtig stolz auf mich, weil das Essen auch meinem Bruder und meinem Freund gut schmeckte.
Bei meiner letzten Chemo im Krankenhaus schaffte ich es auch wieder mit Freude ein Weihnachtskochbuch zu lesen, das mir zwei liebe Freundinnen geschenkt hatten. Ich freute mich auf das Zubereiten der Gerichte in der Adventszeit.Dieses Kochbuch wurde auch dieses Jahr wieder hervorgeholt, und ehrlich gesagt kann ich es kaum fassen, dass die Zeit, in der ich nach meinem Appetit suchte, schon über ein Jahr her ist.
Dank meiner Liebsten und ihrer Unterstützung habe ich die Freude am Kochen, am Kochbuchschmökern und Essen wiedergefunden, und freue mich mit ihnen neue kulinarische Welten zu entdecken.«