»Mein Name ist Paul und ich erhielt mit 27 Jahren die Diagnose Hodentumor. Ich begann gerade mein Zweitstudium im Bereich Humanmedizin, nachdem ich bereits als Zahnarzt gearbeitet hatte. Mein Berufswunsch: Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
Es begann im Frühjahr 2019. Ich bemerkte, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmte. Erklären konnte ich es meinem Hausarzt nicht, es waren ganz unspezifische Symptome: Eine leichte Abgeschlagenheit würde es vielleicht ganz gut beschreiben. Zunächst konnte nichts festgestellt werden – der Sommer verging.
Ich büffelte für die erste große Prüfung im Medizinstudium, anschließend flog ich zusammen mit meiner Freundin nach Sizilien. Im Urlaub begann es mit einem immer wiederkehrenden spontanen einseitigen Ziehen in der Leiste. Ich behielt es erstmal für mich und versuchte die Leiste nach möglichen Bruchpforten abzutasten, denn einen ähnlichen Schmerz hatte ich bereits mit 18 Jahren durch eine dann diagnostizierte Leistenhernie gehabt. Da die Leistenschmerzen stärker wurden, begann ich auch die Hoden beidseits abzutasten und bemerkte, dass sich einer anders anfühlte.
Eine urologische Facharztpraxis hatte ich zuvor noch nie aufgesucht, es war wirklich schwierig, schnell einen Termin zu bekommen. Glücklicherweise konnte ich mich über ein Online-Terminvergabeportal kurz nach dem Urlaub in einer Facharztpraxis vorstellen. Von der Diagnose bis zur Therapie vergingen bei mir zum Glück nur ein paar Tage. Die Urologin musste mir nach körperlicher und sonografischer Untersuchung den hochgradigen Verdacht auf einen Hodentumor mitteilen. Ich fiel aus allen Wolken, damit hatte ich nicht gerechnet. Am nächsten Tag stellte ich mich in einer urologischen Hochschulambulanz vor. Innerhalb der darauffolgenden Woche erfolgten alle wichtigen Termine: Kryokonservierung, CT-Staging und OP.
Das war eine sehr intensive Zeit, denn ich war plötzlich mit zukünftigen Fragestellungen konfrontiert: Möchte ich meinen zukünftigen Kinderwunsch absichern vor einer potenziell keimzellschädigenden Erkrankung – mögliche Fertilitätseinschränkung bis hin zu einem vollständigen Verlust nach Therapie – und Spermatozoen einfrieren lassen – Kryokonservierung vor operativem Eingriff? Kann ich mein Zweitstudium fortsetzen? Wie finanziere ich mir die nächsten Monate, wenn ich temporär arbeitsunfähig bin? Ich hatte keine finanziellen Rücklagen. Trotz Krebsdiagnose nahm ich mir vor, meinen Alltag weiterhin so gut es geht normal zu gestalten. Zwei Wochen nach der Operation startete das neue Semester, ich improvisierte – mit OP-Wunde lief ich dann eben in Jogginghose über den Campus.
Die gesicherte Diagnose kam erst mit dem histopathologischen Ergebnis (eine feingewebliche Untersuchung): Hodentumor vom Typ Nicht-Seminom, clinical stage IA (pT1, keine Blut-/Lymphgefäßinfiltration). Nach kurzfristigem Re-Staging nach sechs Wochen mittels CT und Tumormarkerkontrolle entschieden wir uns nach Leitlinienempfehlung eine sogenannte aktive Überwachung (Surveillance) zu beginnen. Das bedeutet eine engmaschige Kontrolle mit vierteljährlicher Ultraschalluntersuchung der Bauchschlagader, der Nieren beidseits und des verbliebenen Hodens sowie einer Blutabnahme (Tumormarkerkontrolle) und halbjährlicher Bildgebung (CT oder – da ich im Verlauf eine allergische Reaktion auf das jodhaltige Kontrastmittel bekam – mittels MRT) ohne eine zusätzliche Chemotherapie.
Eineinhalb Jahre ist das jetzt her, mir geht es gut. Den Arzt, den ich immer noch am häufigsten sehe, ist mein Urologe. Das Zweitstudium habe ich mittlerweile aufgegeben und arbeite wieder als Zahnarzt. Ich habe gemerkt, dass ich mehr Zeit für Familie, Freunde und mich brauche. Zudem waren meine finanziellen Ressourcen endlich und die Kosten der Kryokonservierung musste ich selbst übernehmen.
Als junger Erwachsener wird man mit der Krebsdiagnose in einer Lebensphase konfrontiert, die man eigentlich dem Lebensaufbau widmet. Das hinterlässt Spuren – physischer wie auch psychischer Art. Ich wünsche allen Betroffenen viel Kraft und liebe junge Männer da draußen: Tastet eure Hoden regelmäßig ab, wenn ihr euch unsicher seid, scheut nicht davor, einen Urologen aufzusuchen.«