»Hi, ich bin Anica, 25 Jahre alt und bekam mit 22 Jahren völlig überraschend die Diagnose Hirntumor. Seit März 2021 lebe ich mit der Diagnose diffuses Astrozytom und fokaler Epilepsie mit hauptsächlich bilateralen tonisch-klonischen Anfällen.
Im Oktober 2020 begannen bei mir plötzlich epileptische Anfälle. Teilweise fror mein Körper für einige Sekunden urplötzlich ein. Alles versteifte sich, ich nahm meine Umgebung in diesem Moment aber völlig klar war, verstand Gespräche, aber konnte nicht darauf antworten. Später kamen dann die großen Anfälle: Bewusstseinsverlust, Krampfen, Schmatzgeräusche. So wurde es mir zumindest erzählt, denn erinnern kann ich mich bis heute nicht. Danach war ich komplett desorientiert. Vom Gefühl ist das immer wie ein abgestürzter Computer: Es dauert seine Zeit, bis er wieder vollständig funktioniert.
Anfangs habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber als die Abstände zwischen den Anfällen, gerade den ›kleinen‹, immer kürzer wurden, ging ich zum Neurologen. Er tat es als Stress und eventuell zyklusbedingt ab. Ich bestand jedoch auf ein MRT. Ich werde niemals den Moment vergessen, als mein heutiger Neurochirurg an diesem 25.03.2021 um 18:37 Uhr (diese typische Krankenhausuhr war genau über dem durchsichtigen Spalt im Sprechzimmer) den Bildschirm umdrehte, und ein riesiger Fleck in meinem Gehirn leuchtete. Er sagte nur, er könne mir nicht genau sagen was das ist, aber es müsse definitiv jetzt raus.
Man kann in dem Moment gar nicht wirklich realisieren, was da gerade passiert - weder über die Diagnose, noch über Konsequenzen für das weitere Leben. Ich glaube, genau das war der Schlüssel, warum ich all das so gut annehmen konnte, denn ich hatte gar nicht die Zeit zu denken. Angst hatte ich nur, als mein Arzt zu mir sagte, es könne sein, dass ich erstmal die Beine nicht spüren werde, da der Tumor sehr ungünstig am Bewegungszentrum liegt. Das Gefühl würde wieder kommen. Tendenz: drei Tage bis ein Jahr.
Als ich meine Augen postoperativ öffnete, war mein Arzt das erste Gesicht, was ich sah. Ich hingegen schrie sofort: ›Mach die Decke weg, ich bewege meine Füße, oder ?!‹ – ›Ja, tust du‹. Dass Bewegen und schlussendlich Nutzen nochmal etwas anderes ist, lernte ich später. Der Tumor war zu 95 Prozent entfernt, aber als Folge blieb eine linksseitige Hemiparese (Anm. der Redaktion: Halbseitenlähmung). In meinem Fall hieß das vor allem eine Gefühlsminderung und Verlust der Feinmotorik.
Im Oktober 2022 der Dämpfer: Ich bekam wieder diese seltsamen rechtsseitigen Kopfschmerzen und sah schlechter. Die Hemiseite verschlechtere sich so rasant, dass ich kaum noch greifen konnte und auch im Bein immer mehr Ausfälle bekam. Das MRT war eindeutig: Der Tumor begann wieder zu wachsen, leider in Richtung motorischem Kortex. Zudem nahmen die Anfälle zu. Ich kam ohne Notfallmedikation kaum alleine raus. Wir warteten jedoch ab, nutzten die Zeit, um die Epilepsie neu medikamentös einzustellen und die körperlichen Einschränkungen mit Intensivtherapien aufzuhalten. Dann die Gewissheit: Er wächst und damit war klar – es geht in die Re-OP. Mein kleiner Freund war allerdings gefährlich nah ans Bewegungszentrum geraten und ich hatte bereits motorische sowie sensorische Einschränkungen. Dazu kam eine untypische Lokalisation vom Sprachzentrum, da ich beidhändig bin. Also fiel die Entscheidung auf eine Wach-OP.
Man stellt sich das viel schlimmer vor, als es ist. Während der OP verspürt man keinerlei Schmerzen. Man kann sich ganz normal unterhalten und muss das auch, denn Tumorgewebe sieht auf den ersten Blick genau so aus wie gesundes Gewebe. Auf elektrische Stimulationen reagiert es allerdings anders. Ich musste derweil verschiedenste Übungen absolvieren und sprach über ganz banale Themen. So entsteht eine Art Karte und der Chirurg wusste, wo er schneiden konnte – und wo nicht. Ich möchte so einen Eingriff keinesfalls verharmlosen – gerade auf der psychologischen Ebene. Mein Glück ist ganz klar das blinde Vertrauen meinem Neurochirurgen gegenüber. Ohne ihn hätte ich das niemals geschafft und vermutlich der OP auch nicht zugestimmt. Wir haben in all der Zeit, gerade davor, immer viel und ehrlich gesprochen. Sonst hätte das niemals so funktioniert.
Die Wendung kam allerdings drei Wochen nach OP. Die Tumorkonferenz wollte Bestrahlung und Chemo. Mit meinem Arzt entschied ich mich aber gegen eine Bestrahlung, da ich mich dort sehr unverstanden fühlte. Für mich ist trotz der andauernden, neuen Therapie alles ein Gewinn: Ich hätte ohne Erkrankung niemals all die wunderbaren Menschen in der Klinik kennengelernt. Vertraut immer auf euer Bauchgefühl und fragt auch zum dritten Mal nach, wenn ihr etwas nicht versteht. Und wenn ihr diese eine Person habt, wo ihr ein gutes Gefühl oder wie ich sogar das Privileg habt, ein blindes Vertrauen entwickeln zu können - lasst es zu und seid dankbar dafür! Es ist für mich meine Superkraft im Kampf gegen Krebs! Ich bin nicht allein, alles ist immer eine gemeinsame Entscheidung. Mit meiner Narbe hab ich übrigens überhaupt kein Problem. Ist wie ein Haarreifen: immer da, aber ruscht nicht.«