»Vor dreieinhalb Jahren starb mein Schwiegervater und hinterließ in Frankreich ein Ferienhaus an der Atlantikküste. Im März 2022 zogen dann mein Mann, meine Kinder und ich dort hin: von dem kleinen Städtchen Landshut nach La Rochelle. Es war schon immer mein Traum, in Frankreich – und dann auch noch am Meer – zu wohnen. Wir gaben dafür unsere ›sichere‹ Umgebung auf. Oftmals vergisst man, wie wichtig es ist, bestimmte Sachen bereits zu besitzen, wie einen Kinderarzt, Frauenarzt, Kindergartenplatz, eine Tagesmutter, Freunde und Verwandte. Und dennoch zog es uns in ein neues Abenteuer. Mein Mann kann von überall aus arbeiten, da er im Homeoffice ist. Der einzige Nachteil ist, dass er viel auf Reisen gehen muss. Der Umzug und das Ankommen in der neuen Heimat waren sehr stressig. Wir hatten ständig irgendwas zu tun, sei es mit Behörden oder mit dem Haus. Es galt, viele Herausforderungen zu meistern. Doch nach einigen Monaten waren meine Kinder in den Einrichtungen untergebracht und ich konnte mich auf meine Pläne konzentrieren. Ich wollte mich als Kunsttherapeutin selbstständig machen und Retreats anbieten. Doch zuvor war es mir wichtig, die Sprache besser zu beherrschen. So machte ich einen Sprachkurs und arbeitete nebenbei als Kellnerin.
Im Winter 2022/2023 fiel mir auf, dass ich besonders oft krank wurde. Jeden Infekt meiner Kinder bekam ich ebenfalls. Zu diesem Zeitpunkt besaß ich keine Krankenkassenkarte. Ich saß alle Infekte einfach nur aus, bis ich im Januar 2023 einen Magen-Darm-Virus und gleichzeitig eine Blasenentzündung bekam. Mein Mann war wieder auf Reisen und ich hatte Hemmungen, zu einem Arzt zu gehen, geschweige denn einen anzurufen. Ins Krankenhaus wollte ich nicht. Ich wusste ja nicht, wie lange ich weg sein würde, und wer würde die Kinder abholen? Ich wartete also vier Tage, bis mein Mann zurückkam, und ließ mich von ihm überreden, ins Krankenhaus zu gehen. Ich bekam ein starkes Antibiotikum. Nach der Einnahme fiel mir plötzlich auf, dass meine Brust rote Flecken hatte und sich die Struktur veränderte. Ich dachte, es sei eine Nebenwirkung und wartete, bis ich das Antibiotikum absetzen konnte. Nach einem Monat wurde meine Haut an der linken Brust dicker, ungefähr so wie eine Orange. Ich dachte, das kann nicht immer noch die Nachwirkung sein.
Ich kündigte meinen Job für März 2023 und entschloss, mich um meine Gesundheit zu kümmern. Dazu gehörte, diese Brust untersuchen zu lassen. Mein Mann machte einen Termin bei zwei Ärzten, um auch eine Zweitmeinung zu bekommen. Beide tasteten meine Brust ab, fanden nichts und sagten, die Veränderung der Brust sei hormonell bedingt. Sie verschrieben mir Progesteron. Gleichzeitig aber bekam ich eine Überweisung an die Radiologie, um einen Ultraschall machen zu lassen. Natürlich um Krebs auszuschließen, denn ich sei ja noch so jung und das sei nicht möglich.
Da es kein Notfall war, bekam ich den Termin erst Anfang Mai. Diesen Moment werde ich nicht vergessen, wie ich im Behandlungszimmer saß und ein Mann hereinkam. Ich fing an zu weinen und sagte ihm, dass ich sicher gehen will, dass es kein Krebs ist. Der Mann lächelte mich an, als wäre ich einfach nur hypochondrisch. Das dachten übrigens viele von mir zu diesem Zeitpunkt. Er nahm das Ultraschallgerät in die Hand und pfiff ein fröhliches Lied, während er meine Brust scannte. Plötzlich wurde sein Pfeifen leiser und langsamer. Immer wieder fuhr er über dieselbe Stelle. Ich sagte: ›Sie haben etwas gefunden, oder?‹ Er antwortete, er könne es nicht sagen und plötzlich wurde alles ganz hektisch. Es kam eine neue Ärztin, die sofort eine Mammografie machte. Dann wurde ich ins nächste Behandlungszimmer gebracht und eine Stanzbiopsie gemacht.
Eine Woche später saß ich mit meinem Mann im Behandlungszimmer und hörte nur die Worte Tumor und eine Masse, die vom Krebs befallen ist. Den Rest konnte ich nicht mehr hören. Ich war wie gelähmt. Drei Ärzte hatten es mir doch versichert. Wie konnte ich nun doch Krebs haben? Es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich verstand die Ärzte kaum, die in ihrer französischen Fachsprache auf mich einredeten. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, unter diesen Bedingungen hier eine Chemo zu machen. Plötzlich stand alles still. Sogar bis heute merke ich, wie die Angst mich einhüllt. Die Zeit steht für mich still, während sie für alle anderen weitergeht. Mein Mann und ich redeten viel darüber, was wir nun tun sollten. Meine Kinder hatten sich so schön integriert und wir wollten ihnen nicht noch einen Umzug antun. Wir entschieden zu bleiben, damit meine Kinder so gut wie möglich weiter machen können.
Inzwischen habe ich die Chemotherapie beinahe beendet. Mir fehlen noch zwei Zyklen von den 16, die ich erhalten sollte. Anschließend werde ich operiert. Die linke Brust darf gehen und danach folgt noch eine intensive Bestrahlung. Mittlerweile würde ich behaupten, ich spreche sehr gut Französisch und kenne mich in einigen Dingen ganz gut aus. Ich bin mutiger geworden, die Sprache auch anzuwenden. Es ist wie ein Intensivkurs, den ich da mache. Ich bin sicher, dass es meinem Gehirn geholfen hat, fit zu bleiben, da ich ständig alleine zu den Terminen gehen musste. Mein Mann durfte mich oftmals nicht begleiten und ich war häufig sprachlich auf mich alleine gestellt. Das Krankenhauspersonal hatte viel Verständnis und Geduld und versuchte, mir alles auf einem niedrigen Niveau zu erklären, damit ich es verstehen konnte.
Am schlimmsten ist für mich gerade, die Angst meiner Kinder mitzuerleben. Ich kann ihnen nicht versprechen, dass alles gut wird. Ich weiß ja selbst nicht, was mit mir noch wird. Ich habe mir auch deswegen eine Therapeutin gesucht, die mir viel hilft. Sie sagt, ich soll nicht den ganzen Weg ansehen, sondern nur die Schritte. Schritt für Schritt. Dieses Mantra hat mich durchgehend begleitet. Mir hilft auch, meine Liebsten um mich haben. Denn nur dann kann man besser damit umgehen, was einem da wiederfährt.«