»Guten Tag, mein Name ist Dirk Rohde, aber die meisten kennen mich unter meinem Spitznamen ›Don‹. Diesen Spitznamen erhielt ich einmal vor vielen Jahren von meinen Kollegen bei der Kölner Polizei. Ich arbeite als Polizeibeamter in der Großstadt Köln im Außendienst, als Polizist auf der Straße. Dass dies so wieder möglich ist, damit hatte im Mai 2015 eigentlich kaum jemand gerechnet.
Im Mai 2015 erkrankte ich an Zungengrundkrebs. Der medizinische Fachbegriff heißt Hypopharynxkarzinom. Ein Lymphnoten in meinem Hals war von Krebszellen befallen. Dieser hatte zudem noch einen sogenannten ›extrakapsulären Ausbruch‹, der Lymphknoten war geplatzt und Krebszellen waren dort ausgetreten. Aufgrund dieser unschönen Diagnose musste ich mich mehreren Operationen im Mund-Hals-Bereich sowie einer adjuvanten (unterstützenden) Radiochemotherapie unterziehen lassen.
Die Folgen der Operationen waren schlimm. Es wurde eine beidseitige Halsöffnung (Neck Dissection) mit Entnahme der Halslymphknoten durchgeführt. Bei der Resektion des Tumors wurde zudem der Zungengrundnerv rechtsseitig geschädigt. Meine Zunge ist seitdem halbseitig gelähmt.
Die Radiochemotherapie hatte die Folge, dass meine Mundschleimhäute, sowie meine Speicheldrüsen lebenslang geschädigt wurden. Ich leide seitdem unter Mundtrockenheit (Xerostomie). Zudem konnte ich meinen Mund nicht mehr weit öffnen, ich litt unter einer Kieferklemme. Im Ergebnis konnte ich nach der Krebsbehandlung nicht sehr deutlich sprechen, ich habe sehr stark genuschelt. Auch konnte ich aufgrund der beidseitigen Halsoperationen meinen Kopf nur noch sehr eingeschränkt nach links und rechts drehen. Weiterhin konnte ich nur schlecht schlucken und bin von einer Schluckstörung (Dysphagie) betroffen. Durch den fehlenden Speichel bekomme ich meine Speisen nicht eingespeichelt. Die Speisen ›rutschen‹ quasi nicht mehr runter. Ich hatte fast 15 Kilo Körpergewicht verloren und auch meine Psyche hatte erheblich unter den Folgen der Behandlungen gelitten. In diesem Zustand als Polizeibeamter auf der Straße und auch wieder auf dem Polizeimotorrad Dienst zu versehen, schien fast unmöglich.
Nach der Therapie machte ich zunächst eine dreiwöchige Anschlussheilbehandlung (AHB). Dort nahm ich an Anwendungen teil und ging viel durch den Wald an der frischen Luft spazieren. Während meiner regelmäßigen Spaziergänge versuchte ich meinen Kopf immer so weit nach links und rechts zu bewegen, wie es ging. Zudem machte ich regelmäßige Dehnübungen mit meinem Kopf, Hals und Nacken. Weiterhin öffnete ich meinen Mund immer wieder soweit, wie es möglich war und dehnte die Kiefergelenke.
Essen zu mir zu nehmen, war in Folge meiner behandlungsbedingten Einschränkungen extrem schwierig. Ich musste lernen mich vorwiegend mit flüssiger Nahrung ausreichend zu versorgen. Von der hochkalorischen Kost (Fresubin Produkte) wollte ich möglichst wegkommen. Folglich befasste ich mich mit der Zubereitung gehaltvoller Suppen und mit grünen Smoothies. Es war wichtig, dass ich wieder an Gewicht zulegte.
Meine körperliche Verfassung war zu Behandlungsende schlecht. Meine Muskulatur war stark zurückgegangen und auch meine Sehnen hatten sich im Schulter-Nackenbereich verkürzt. Ich begann zunächst mit kleinen PET- Flaschen langsam meine Muskulatur zu trainieren. Ich machte zudem langsame Dehnübungen. Dann kaufte ich mir Hanteln mit ein und zwei Kilo und machte damit zu Hause Übungen. Ich meldete mich zudem in einem Fitnessstudio an und fing mit leichten Gewichten an, Übungen zur Kräftigung meiner Muskulatur zu machen. Anfänglich legte ich die Steckstifte, mit denen man die Höhe der Gewichte einstellt, auf den Boden. Nach und nach steigerte ich die Gewichte. Das regelmäßige Training im Fitnessstudio hatte mir sehr gut geholfen und mich weiter nach vorne gebracht.
Jedoch hatte die Krebstherapie nicht nur körperliche Spuren hinterlassen. Auch meine Psyche hatte unter der Therapie gelitten. Ich war seelisch angeschlagen und litt unter nächtlichen Alpträumen. Hier musste ich gegensteuern und ich machte einen Termin bei einem Psychologen, mit dem ich mich einmal in der Woche für ein ca. 45-minütiges Gespräch traf. Das Reden half mir. Weiterhin startete ich meinen Facebook-Blog ›Schockdiagnose Krebs. Und plötzlich ist alles anders.‹ und begann über das Erlebte und meine Erfahrungen zu schreiben. Das, so nenne ich es mal, ›mir von der Seele schreiben‹ half mir sehr bei der seelischen Verarbeitung meiner Krebserkrankung. So steigerte ich nach und nach meine körperliche Fitness und meine seelische Stabilität, bis ich mich ca. ein Jahr nach Diagnosestellung fit genug fühlte, wieder Polizeidienst zu versehen.
Ich startete einen Arbeitsversuch, der nach nur einem Monat mit einem schweren Rückschlag endete. Ich erlitt im Rachen eine Entzündung, eine Seitenstrangangina. Diese wird in der Regel mittels Antibiotika in Tablettenform behandelt und klingt meist nach fünf Tagen ab. In meinem Fall jedoch gelangte die Tabletten-Antibiose nicht an den Entzündungsherd, weil meine Mund-Hals-Schleimhäute (Plattenepithel) aufgrund der Radiotherapie (Strahlentherapie) sehr schlecht durchblutet sind. In der Folge schritt die Entzündung explosionsartig voran und die Schleimhäute in meinem Hals schwollen stark an. Ich wurde nachts notoperiert und als ich auf der Intensivstation wieder wach wurde, erfuhr ich von dem operierenden Chirurgen, dass die Öffnung zu meiner Luftröhre nur noch stecknadelkopfgroß war und ich kurz vor dem Erstickungstod gestanden hatte. Es hätte keine 30 Minuten mit der Operation gewartet werden dürfen. Der Heilungsprozess zog sich durch die sehr schlecht durchbluteten Schleimhäute ebenfalls über Wochen hin. Diese Rachenentzündung warf mich wieder zurück. Jedoch startete ich drei Monate später einen erneuten Arbeitsversuch. Und diesmal klappte es. Seit dem 01.01.2017 arbeite ich wieder in Vollzeit als Polizeibeamter.
Ich habe durch die Krebserkrankung und die notwendigen Behandlungen einige Einschränkungen zurückbehalten. Jedoch habe ich mich hier soweit anpassen können, dass ich wieder in der Lage bin, den Polizeiberuf im Außendienst durchführen zu können. Die Radiochemotherapie im Kopf-Hals-Mundbereich empfand ich persönlich als sehr quälend. Ich war nur darauf fokussiert, diese Therapie irgendwie durchzustehen.
Geholfen hätte mir damals ein Gespräch mit einem ehemals Selbstbetroffenen. Einem ehemaligen Patienten, der einen ähnlichen Krebs wie ich hatte und die Erkrankung bereits überstanden hat. Mithin etwas Positives, einen positiven Verlauf, einen positiven Abschluss. Das hätte mir damals Mut gemacht. Heute versuche ich selbst anderen Erkrankten diese positive Energie zu vermitteln.
Nach meiner überstandenen Therapie habe ich alles getan, was mir persönlich guttat. Ich habe mich selbst belohnt. Zunächst mit einem neuen, großen Fernseher. Ich bin viel an der frischen Luft spazieren gegangen. Gute Gespräche mit Freunden taten mir ebenfalls gut. Weiterhin empfand ich sanfte Massagen als sehr wohltuend. In meinen Augen sind alle Handlungen richtig, die der Seele guttun.
Nach einer Krebstherapie ist nicht nur der Körper in Mitleidenschaft gezogen worden. Auch die Seele hat meist Schaden genommen. Positive Eindrücke, Momente und Genuss sind in dieser Zeit Balsam für die Seele. Heute versuche ich anderen von Krebs betroffenen Menschen zu helfen. Ich habe den Facebook-Blog ›Schockdiagnose Krebs. Und plötzlich ist alles anderes‹ ins Leben gerufen. Hier informiere ich, kläre auf und beantworte viele Fragen von Betroffenen und Angehörigen. Außerdem habe in Köln eine Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige von Kopf-Hals-Mund-Krebs gegründet und wir treffen uns monatlich. Zum anderen bin ich Patientenbetreuer und Onkolotse und habe mit zwei Kölner Kliniken Kooperationen für Selbsthilfe.
Da viele Kinder Polizisten mögen, kam auch die Kinderkrebshilfe hinzu. Ich besuche oft Kinder, die von Krebs betroffen sind, bringe kleine Geschenke mit und zeige kleine Zaubertricks. So kann ich für einen kleinen Moment ein wenig Ablenkung schaffen in einer für die Kinder während der Therapie schwierigen Zeit.
Ich bin immer wieder mit verschiedenen Projekten befasst. So aktuell auch als Protagonist für die Wanderausstellung ›HPV hat viele Gesichter‹ am DKFZ in Heidelberg, die am 13. September 2021 eröffnet wurde. Ziel dieser Ausstellung, die u. a. das Schicksal von sechs Krebspatienten:innen mit HPV induziertem Krebs zeigt, ist es Awareness für die HPV-Impfung (seit 2018 auch für Jungs) zu schaffen. Hier halte ich immer wieder in Städten, in denen die Wanderausstellung Halt macht, Vorträge. Es gibt in Sachen Krebshilfe und Krebsaufklärung mithin immer etwas zu tun.
Viele liebe Grüße, Don«