»Hallo, Mein Name ist Ella, ich bin 30 Jahre jung und habe im Juli 2021 die Diagnose Zungengrundkarzinom erhalten. Entdeckt habe ich den kleinen Knubbel durch Zufall selbst. Durch meinen Beruf als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und meiner Arbeit mit Krebspatient*innen bekam ich es natürlich sofort mit der Angst zu tun. Als dann auch mein HNO meinte ›Ich weiß zwar nicht, was es ist, aber es gehört dort nicht hin.‹ Hat es mir regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen.
Nach unzähligen bildgebenden Untersuchungen und diversen Besuchen in Spezialambulanzen wurde mir der Knubbel an meinem 30. Geburtstag in Vollnarkose entfernt. Nach acht Tagen habe ich erfahren, dass es Krebs war, ein sogenanntes Mucoepidermoides Carcinom des Zungengrundes.
In einer Anschluss-OP zwei Tage später wurden mir alle Lymphknoten im Halsbereich entfernt, welche die Level 1–3 hatten. Unter dreizehn Lymphknoten befand sich eine Metastase, deswegen und wegen meines jungen Alters, musste ich zusätzlich noch bestrahlt werden.
Für so junge Patienten gibt es kein Schema wurde mir gesagt, ich passte auch nirgends rein, beruhigend, oder?
Die 30 Bestrahlungen haben mich echt an meine psychischen und physischen Grenzen gebracht. Ich konnte nichts mehr essen, nichts mehr schmecken, nicht mehr schlucken und hab in drei Monaten fast 30 kg verloren. Ich konnte mir kaum die Haare waschen, da mir die Kraft in den Armen zum Einschäumen bzw. zum Auswaschen fehlte. Zum Duschen musste ich mich hinsetzen und wegen meines Fatigue Syndroms habe ich in dieser Zeit oft bis zu 18 Stunden am Tag geschlafen. Mein Hals außen war verbrannt, die Haut ging ab und der Mundraum tat trotz starker Medikamente einfach nur furchtbar weh.
Ich habe mich von Astronautenkost und Suppen ernährt, die ich wegen der Opiate auch oft wieder erbrochen habe. Meine Kolleginnen in der Arbeit haben mir dann einen Venenzugang gelegt und mich so mit Flüssigkeit und Medikamenten versorgt.
Ich war bis dato eine junge gesunde Frau und die Radiotherapie hat mich fertig gemacht. Die Beschwerden wurden von Woche zu Woche schlimmer. Beim Wiegen habe ich noch ein zusätzliches Shirt angezogen und die etwas schwereren Schuhe angelassen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal machen werde. In der letzten Woche musste ich dann stationär behandelt und sogar über die Venen ernährt werden.
Das Schlimmste war für mich, dass ich mit niemandem Betroffenen in meinem Alter reden konnte. Es war niemand da, der oder die nachvollziehen konnte, welche Ängste ich hatte und welche Gedanken mich als junge Frau gerade beschäftigten.
Werde ich je eine Zukunft haben? Werde ich je Familie haben? Mich neu verlieben? Wer will den schon eine tickende Zeitbombe haben und dann auch noch mit den Frankenstein-Narben am Hals?
Ich habe mittlerweile eine gute Freundin bei der Bestrahlung kennengelernt, die mir sehr in dieser Zeit geholfen hat und die ich auch heute nicht missen möchte. Deswegen habe ich auch angefangen mehr oder weniger anonym darüber zu schreiben, ich habe auf diesem Wege tolle Leute kennengelernt und es hat mir sehr geholfen zu erkennen, dass ich nicht allein bin.
Dank der Reha habe ich Essen und Schmecken wieder neu erlernt und angefangen regelmäßig Sport zu machen. Dort habe ich auch zwei Freundinnen und Leidensgenossinnen fürs Leben getroffen, wir sehen uns regelmäßig und unterstützen uns nach wie vor.
Die Eingliederung in den Job, in den Alltag ist mir auch sehr schwergefallen, neben der psychischen Aufarbeitung des Erlebten.
Der Job, die Kollegen, die Arbeit, all das ist gleichgeblieben, aber ich war definitiv nicht mehr dieselbe. Ich wurde entweder mit Samthandschuhen angefasst oder meine Erkrankung wurde komplett ignoriert, das hat mich ganz schön genervt. Deswegen rede ich einfach darüber.
Meine beste Freundin hat zu mir mal gesagt: ›Ich behandle dich wie immer, denn du bist die gleiche und ich habe keinen Zweifel dran, dass du das alles gut schaffen wirst. Ich bin für dich da!‹
Das Ganze ist nun bald ein Jahr her, im April 2022 wurde mir ein letzter Halslymphknoten entfernt. Ich zittere nach wie vor, vor jeder Nachsorgeuntersuchung, aber ich genieße die untersuchungsfreie Zeit sehr, ich lebe gefühlt mehr und intensiver denn je.
Ich lebe achtsamer, ich bin dankbarer und so schlimm das letzte Jahr auch gewesen sein mag, es gehört jetzt zu meinem Lebenslauf. Es hat mir gezeigt, dass mein Job nicht alles ist und welche Menschen ich wirklich in meinem Leben haben will und auf wen man sich verlassen kann. Ich habe den Sport und vor allem Boxen lieben gelernt.
All die Tränen, die Zweifel, die Angst und das zurück ins Leben kämpfen, das hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Und nebenbei bin ich jeden einzelnen Tag verdammt dankbar und froh noch hier sein zu dürfen.«