»Hallo, ich bin Jana vom Profil @mehrleben_janascheer und ich habe nicht DIE eine Geschichte mit Krebs. Denn ich habe viele Geschichten: In meiner Familie ›ist der Wurm drin‹. Ich kenne Krebs als Nichte, Tochter, Enkelin, Freundin und als selbst Betroffene. Angefangen hat es damit, dass meine Tante, die jüngere Schwester meiner Mutter, mit 31 Jahren Brustkrebs bekam. Da war ich 14. Glücklicherweise hat sie die Behandlung gut überstanden.
Doch damit sollte es nicht zu Ende sein. Zwei Jahre später erkrankte meine andere Tante, die ältere Schwester meines Vaters, mit 43 Jahren auch an Brustkrebs. Es wurde leider zu spät festgestellt, weil sie Angst hatte zum Arzt zu gehen, sodass sie wenige Monate nach der Diagnose starb. Leider waren meine Freunde mit dieser Situation komplett überfordert. Als ich erzählte, was passiert war, mied mich mein bester Freund einen ganzen Tag lang und meine beste Freundin hatte keine Zeit zum Zuhören. Kaum hatten wir in der Familie diesen Schicksalsschlag erlitten, trat bei meiner anderen Tante der Brustkrebs wieder auf. Den besiegte sie auch wieder und ist seitdem krebsfrei.
Etwa ein Jahr nach dem Tod meiner Tante väterlicherseits (und zwei Monate nach dem Unfalltod meines Opas) musste meine Mutter mit 39 Jahren ins Krankenhaus, weil sie starke Schmerzen im rechten Bein hatte. Man stellte eine Thrombose fest und suchte nach der Ursache. Man fand Metastasen in der Leber und nach weiteren Untersuchungen den Hauptkrebs im Darm. Diese Nachricht, die mich noch mehr als die anderen betraf, teilte ich mit noch weniger Leuten und noch weniger gern.
Mit der Diagnose veränderte sich unser Familienleben. Ich übernahm mit 19 Jahren fast den ganzen Haushalt und fuhr meine Mutter zu den Chemotherapien, CTs und sonstigen Untersuchungen. Meine jüngere Schwester sollte unbeschwert ihre Freunde treffen können. Meine Mutter selbst veränderte sich während der Therapie psychisch. Sie wurde verbal aggressiv, akzeptierte keine Gegenmeinungen mehr und schob alles auf ihre Krankheit. In unserer Familie hatte niemand die Kraft mehr, ihr Kontra zu geben. Während dieser Zeit schrieb ich mein Abitur. Leider wurde mein Wille zu Lernen als Egoismus interpretiert und angenommen, dass ich nicht im Haushalt helfen und die Krankheit ignorieren wollte. Dennoch teilte mir meine Mama am Abiball mit, dass sie sehr stolz auf mich ist, dass ich mein Abitur ›trotz allem‹ geschafft hatte.
Im Anschluss an mein Abitur begann ich ein Chemie-Studium, über 500 Kilometer von zu Hause entfernt. Der Abstand tat mir einerseits gut und anderseits hatte ich ständig das Gefühl nicht genügend für meine Mutter da zu sein. Dazu kamen noch Ängste um meine Mutter und zu versagen, sowie Bauchschmerzen. Ihr dabei zusehen zu müssen, wie sie zugrunde geht, machte mich verrückt und war das Schlimmste für mich. Dies alles macht es mir fast unmöglich, mich auf die Uni zu konzentrieren. Ich habe mir in dieser Zeit sehnlichst Portale zum Austauschen für Jugendliche und junge Erwachsene gewünscht, deren Eltern an Krebs erkrankt sind. Ich wollte einfach nur gern hören, dass ich damit nicht allein bin.
Ich hatte zwar das Glück, einige wenige Freunde zu haben, denen ich mich anvertrauen konnte. Allerdings gab es keinen, der eine ähnliche Situation wie ich hatte. Neben meinen Freunden hat mich auch meine Hausärztin mit ihrer ehrlichen Aufklärung und Verständnis unterstützt. Durch sie konnte ich verstehen, warum meine Mutter so gehandelt hatte und wie die Krankheit meiner Mutter abläuft und ablaufen wird. Dadurch, dass ich wusste, wie die Phasen der Krankheit ablaufen werden, war ich in gewisser Weise vorgewarnt.
Und tatsächlich dauerte es nicht mehr lange, bis DER Anruf kam: ›Komm nach Hause‹. Mitten in den Prüfungen. Ich hatte noch eine Woche mit meiner Mama. Dort haben wir beide beschlossen, dass wir unsere Streits nicht aufwärmen, sondern uns verzeihen und lieber die letzte Zeit noch schön miteinander verbringen wollen.
Ich habe nie vergessen, wie hilflos ich mich in der ganzen Zeit gefühlt habe. Ich wünsche niemandem, dass er sich so fühlen muss, wenn er das nicht möchte. Deshalb habe ich mich entschlossen, andere Angehörigen zu unterstützen, mit meinem Wissen aus jahrelanger Erfahrung und einer ganzen Menge an hilfreichen Methoden, die ich auf meinem Weg lernen durfte. Und natürlich mit dem Austausch, den ich mir so sehnlich gewünscht habe. Ich möchte die Person sein, die ich so sehr gebraucht hätte. Denn obwohl ich mittlerweile selbst Krebspatientin war, bin ich in meinem Herzen noch immer vor allem die Angehörige.«