Kevin

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44

In der heutigen Geschichte erzählt Kevin, wie er plötzlich die Diagnose Hodenkrebs bekam und mit vielen Hochs und Tiefs durch die Therapie ging. Ihm ist wichtig, dass gerade Männer Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen und keine Scham haben.

»Ich bin Kevin, 44 Jahre aus Hamburg und arbeite als Dragqueen auf St. Pauli in der Olivia Jones Familie. Dort wirbel ich als ›Vanity Trash‹ mit Gästen bei meinen Kult-Kieztouren über die sündigste Meile der Welt und wenn das noch nicht langt, wird in der Bar danach weiter gefeiert.

Wie man sieht, bin ich eigentlich sehr lebensfroh. Doch Ende 2019, um genau zu sein zwei Tage vor Heiligabend, bin ich mit Schmerzen im linken Hoden ins Krankenhaus gegangen. Ich wollte nicht über die Weihnachtstage warten und hatte auch ein ungutes Gefühl. Da ich diese Schmerzen jetzt schon seit knapp zwei Wochen hatte, rechnete ich eigentlich mit einer Nebenhodenentzündung, so hab ich es zumindest ergoogeln können. Der zuständige Notfallarzt war anscheinend komplett überfordert, denn während der Untersuchung machte er schon Andeutungen, dass etwas auf dem Ultraschall auffällig war. Leider klingelte das Handy des Arztes und er wollte unbedingt diesen Anruf annehmen. Das Gespräch ging circa 30 Sekunden, wobei es sich für mich wie eine Stunde anfühlte. In meinem Kopf kreisten viele Fragen: ›Was ist, wenn es doch was Ernstes ist oder vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken und ich bekomme gleich nur ein Antibiotikum?‹

Aber irgendwie wusste ich, dass diesmal irgendetwas nicht in Ordnung ist. Nachdem der Arzt aufgelegt hatte, bat er mich umgehend meine Hose wieder anzuziehen und eröffnete mir, dass ich einen Tumor im linken Hoden habe. Der Arzt schmiss mir sehr viele Fragen um die Ohren. Ich müsste mich jetzt sehr schnell entscheiden, denn er würde mich gerne morgen sofort operieren. Möchte ich Kinder, möchte ich ein Implantat und ich müsste damit rechnen, falls der Tumor gestreut hat, eine Chemotherapie zu bekommen. Ich war in diesem Moment komplett am Boden zerstört und für mich hat sich die Welt aufgehört sich zu drehen. In den nächsten zwei Tagen ging alles sehr schnell, die Operation, damit die Entfernung des Hodens und auch die Gewissheit zu haben, dass es definitiv Hodenkrebs ist.

An Heiligabend durfte ich das Krankenhaus wieder verlassen und wurde so bis Ende des Jahres mit allen meinen Ängsten alleine gelassen, da viele Ärzte im Weihnachtsurlaub waren. Anfang Januar wurde ein CT (Computertomografie) gemacht und die Blutwerte weiter kontrolliert. Zum Glück war nur eine Lymphbahn minimal auffällig und die Blutwerte in der Norm. Man entschied sich alle sechs Wochen die Tumormarker zu kontrollieren und alle drei Monate ein CT zu machen, um zu schauen, ob die Lymphbahn doch auffällig wird. Man nennt so etwas auch ›sit and wait‹.

Einige Monate gingen so ins Land und ich musste immer wieder zur Kontrolle und immer wieder hatte ich Angst, was ist wenn, und was wird dann. Knapp ein halbes Jahr später war dann tatsächlich mein Tumormarker erhöht und ich musste umgehend ein CT anfertigen lassen. Leider stand dann fest, dass eine Lymphbahn von 1,5 auf 3,5 Zentimeter angeschwollen ist. In der Tumorsprechstunde im Krankenhaus beschloss die Ärzt:innen, mit dem Ganzen mit drei Zyklen Chemotherapie entgegenzuwirken. Knapp drei Wochen später war es so weit und ich musste die Therapie anfangen. Bei der ich zur Verabreichung der Chemo je fünf Tage stationär aufgenommen wurde. Dann durfte ich 14 Tage nach Hause und musste während der Zeit nur einmal in der Woche in der Onkologie, um eine Chemotherapie zu bekommen und dann wieder fünf Tage stationär.

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Leider durfte ich 2020 coronabedingt niemanden sehen und auch keinen Besuch empfangen. Die Krankenhäuser waren dort sehr streng. Während dieser Zeit war ich für die Hilfe meiner Freunde sehr dankbar, ohne sie hätte ich diese schwere Zeit nie geschafft. Ich hatte sehr starke Probleme, die Chemotherapie zu verarbeiten. Mein Körper war schlapp, ich hatte Kreislaufprobleme, mir war übel und leider hatte ich auch eine sehr starke Gewichtszunahme. Zudem musste ich einige Zeit im Rollstuhl sitzen, weil mein Körper mit all dem nicht klarkam. Nachdem der dritte Zyklus vorbei war, konnte ich es kaum erwarten, endlich Ruhe einkehren zu lassen und vielleicht sogar den Kampf gewonnen zu haben. Ich fuhr für knapp drei Wochen zu Freunden, um mich dort zu erholen, denn Familie habe ich in dem Sinne leider nicht mehr. Ich war um jede Hilfe in meinem Freundeskreis dankbar. Nach all den Strapazen sollte einen Monat später ein CT gemacht werden. Das Warten auf das Ergebnis und die Blutwerte waren die schlimmsten 24 Stunden meines Lebens, denn es sollte sich ja entscheiden, ob alles angeschlagen hat und ob ich eine Chance habe weiterzuleben. Früh am Morgen klingelte dann endlich mein Telefon und meine Onkologin konnte mir dann mitteilen, dass nichts mehr auffällig ist. Weder das CT noch die Blutwerte konnten irgendetwas nachweisen und somit konnte ich in mein Leben zurückkehren. Die nächsten Monate musste ich alle drei Monate zur Kontrolle. Mithilfe von Blutwerten, Tumormarkern und CT-Terminen wurde nachgeschaut, ob alles in Ordnung ist.

Es gab viele Aufs und Abs, sowohl psychischer als auch körperlicher Natur, denn mein Körper war nicht mehr der Alte, der er mal war. Ich musste von Tag zu Tag versuchen in mein Leben zurückzukehren, was mir vorher immer so selbstverständlich vorkam. Mit jedem Monat und mit jeder Kontrolle versuchte ich nicht mehr an mein altes Leben anzuknüpfen, sondern mir ein Besseres zu kreieren. All das, was für mich selbstverständlich war, ist heute ein Geschenk für mich, auch wenn es mir ab und zu schwerfällt nicht gleich in Panik zu geraten, wenn mal etwas wehtut oder sich etwas komisch anfühlt oder ich mich nicht wohlfühle. Ich versuche trotz alledem mich dem Weg zu stellen. Ich bin seit meiner Erkrankung in psychotherapeutischer Therapie und habe mir ein gutes Netz aus Ärzten gespannt, die mir in jeder Situation beistehen. Selbst wenn die Frage noch so blöd ist, kann ich diese dort stellen und werde ernst genommen.

Nun bin ich seit zwei Jahren krebsfrei und vor kurzem haben wir beschlossen, dass ich nur noch alle sechs Monate zur Kontrolle kommen muss. Wenn ich eins gelernt habe, ist es, dass die Vorsorge eine der wichtigsten Therapien ist, um Krebs in die Schranken zu weisen. Gerade Männer sollten vielmehr Vorsorge betreiben, denn Früherkennung kann Leben retten. Männer haben da noch sehr viel Scham vor und genau das ist fatal. Wie in meinem Fall wissen viele nicht, dass Hodenkrebs bei Früherkennung eine sehr hohe Heilungsrate hat und selbst im fortgeschrittenen Stadium gibt es noch sehr gute Chancen. Seit Mitte dieses Jahres bin ich auch im Vorstand von ›Love your nuts‹, die sich auf die Aufklärung für Hodenkrebs spezialisiert haben. Mir ist es wichtig, die folgende Message zu verbreiten: ›Männer, habt keine Scheu und geht zur Vorsorge‹.

Kevin trägt orangefarbenes lockiges Haar und ein farbenfrohes Kostüm mit vielen Details wie Ketten und Pailletten. Diese Person schaut mit lachendem Blick in die Kamera.
Name
Kevin
Instagram
@vanitytrash
Website
Interviewt von
Erzählt am
4.10.2022
Verstorben am

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