»Hallo du, ich heiße Mirjana und meine Freunde kennen mich unter Miri. Heute will ich dir meine Geschichte erzählen. Sie ist jetzt nicht besonders interessant oder einzigartig. Meine Motivation ist folgende: Ich will dir zeigen, dass Krebs nicht das Ende bedeuten muss. Wichtig: Im Oktober 2015 hatte ich einen Herzinfarkt und wurde wiederbelebt. Als Folge davon blieb Herzinsuffizienz. Wieso diese Geschichte bei meinem Krebs eine Rolle spielt, dazu mehr später. Jetzt will ich dir erzählen, wie das mit dem Krebs bei mir war bzw. ist.
Es war Mitte Juli 2021. Mir wurde gerade mein Rehageld entzogen und ich hatte diesbezüglich einen Gerichtsprozess am laufen. Zwischendurch machte ich mir Gedanken, ob ich für ein paar Tage in den Urlaub fahre bzw. wie ich das am besten anstelle, da ich einige Gutachten hatte. Bis ich eines Abends in der Dusche stand und beschloss, mich wieder mal abzutasten. Der Gedanke war nicht richtig zu Ende gedacht, und schon fand ich ihn. Den Knoten. Er saß zwischen vier und fünf, wenn man sich eine Uhr vorstellt. Meine Gedanken rasten, die zweite Brust wurde nur noch sporadisch abgetastet. Irgendwann, nach dem ich mit zwei Freundinnen schrieb und von dem Fund berichtete, war ich wieder entspannter und ging schlafen. Ich weiß heute noch, wie ich in der Nacht aufwachte und die Stelle tastete, in der Hoffnung, sie wäre verschwunden. Leider war sie das nicht. Wie der Zufall (oder auch Schicksal?) so will, hatte ich am nächsten Tag einen Termin in der hämatologischen Ambulanz. Da mich die Ärztin schon länger kennt, seit Ende 2015, antwortete ich auf die Frage, wie es mir geht, ziemlich offen: Na ja, gut, abgesehen davon, dass ich gestern Abend einen Knoten in meiner linken Brust fand. Sie fragte mich, wie ich weiter vorgehen werde. Ich sagte, ich überlege noch, an welchen Arzt ich mich wenden soll. Daraufhin organisierte sie, zusammen mit ihrer Assistentin, eine Mammografie für mich und schickte mich für zwei Stunden spazieren, bis der Befund da war. Wieder zurück, ging sie mit mir den Befund durch und vereinbarte schon davor einen Termin im Brustzentrum gleich für den nächsten Tag. Wie hilfreich das für mich war, versteht nur jemand der das Gleiche durchmachen musste.
Am nächsten Tag war ich dann im Brustzentrum und von da an ging alles ziemlich flott. Zehn Tage später wurde eine Biopsie gemacht und Anfang August stand die Diagnose Brustkrebs. Ich ›freundete‹ mich in der Zwischenzeit mit dem Gedanken an, dass es Krebs sein könnte. So sehr, dass meine Ärztin im Brustzentrum fragte, ob ich mit dieser Diagnose gerechnet hätte. Ich sagte, ich hoffte, dass es nicht ist, und wusste, dass es sein kann. Es folgten zwei Operationen, Antihormontherapie für einige Jahre und Strahlentherapie. Und was hat das Ganze jetzt mit meinem Herz zu tun? Wer lebt, kann (leider Gottes) krank werden und somit auch an Krebs erkranken. Und da die Wiederbelebung bei meinem Herzinfarkt glücklicherweise erfolgreich war, erkrankte ich auch. Andererseits: Wäre ich damals gestorben, hätte ich auch kein Krebs. Was zählt für mich mehr, die Erkrankung oder diese knapp sechs Jahre zusätzliches Leben dazwischen? Ich denke, diese Frage muss ich dir gar nicht beantworten. UND: Ich hatte riesiges Glück. So viel Glück, dass ich manchmal immer noch selbst darüber verwundert bin. Eine Chemotherapie war nicht nötig. Mein Krebs war ›faul‹ und wollte sich nicht teilen. Sonst weiß ich nicht, ob ich heute noch hier sitzen würde. Wir wissen alle, dass sie manchmal sehr ans Herz geht. Was das bei mir bedeuten würde, mag ich mir nicht ausmalen. Diese Herzerkrankung bringt mir noch einen ›Vorteil‹. Dadurch macht mir Krebs keine Angst. Diese Furcht vor dem Ende des eigenen Lebens habe ich schon hinter mir. Es ist mir bewusst, dass wir jederzeit überall an allem sterben können. Auch im Urlaub, wie ich im Oktober 2015. Oder unzählige andere Menschen, die am Morgen aufstehen, sich auf einen schönen Tag freuen und den Abend nicht mehr erleben. Deswegen zählt nur das, was ich heute habe. Was morgen, übermorgen, nächsten Monat, nächstes Jahr oder gar in 5 Jahren sein wird, interessiert mich nicht. Weil ich nicht weiß, ob ich dann noch da bin. Und deshalb erzähle ich dir hier meine Geschichte.
Carpe diem bedeutet für mich nicht, möglichst viele Sachen in einen Tag einzupacken, sondern lieber nur eine oder zwei, und sie aber bewusst erleben. Jede Sekunde, jede Minute, die vergeht, bekommen wir nie wieder. Ich lebe mein Leben 3.0 und jeder weitere Tag ist ein Nachschlag für mich. Wir können uns immer entscheiden, ob wir etwas negativ oder positiv sehen, und dabei meine ich nicht den obligaten Satz ›Du musst nur positiv denken, dann geht das‹. Ich kann diesen Satz echt nicht mehr hören. Was ich aber machen kann, ist dankbar zu sein, dafür, dass ich noch da bin. Es hätte anders sein können. Wenn vor knapp 8 Jahren etwas noch schiefer gegangen wäre, würde ich jetzt nicht hier sitzen und diesen Text tippen. Der Arzt, der mich wiederbelebte, einige Stunden später an meinem Bett stand und nur ›Es war sehr, sehr knapp, wir schaffen es nicht immer, bei Ihnen haben wir es geschafft‹ sagte, lebt leider nicht mehr. Etwa ein Jahr später verlor er sein Leben bei einem Autounfall als er von seinem Dienst nach Hause fuhr. Nur, daran denken wir nicht, wenn wir aus dem Haus gehen, oder? Was die Zukunft für mich bringt, will ich gar nicht wissen. Ob schlecht (Gott behüte) oder gut (immer her damit!), es wird so sein wie es ist. Ich vertraue an die Wissenschaft, und hoffe nur das Beste. Für dich, für mich, für uns alle. Meine Erlebnisse verarbeite ich so, dass ich offen damit umgehe. Darüber zu schreiben, ob Instagram oder Blog bei Influencer, befreit mich sehr.
Ich mache beides aus zwei Gründen:
In der Zwischenzeit genieße ich diesen Zusammenhalt, die Verbundenheit, das Verständnis, die Freundschaften und all die anderen schönen Erlebnisse, die es zwischen uns, an Krebs erkrankten Menschen, gibt. Und das ist, was zählt. Ganz liebe Grüße Miri«