»Hi, ich bin Rebecca! Bereits im Alter von 13 Jahren habe ich die ersten Erfahrungen mit der Krankheit Krebs gemacht, als damals bei meinem Stiefpapa ein Tumor entfernt wurde. Die Bedeutung der Krankheit habe ich damals nicht verstanden, ich wusste lediglich, dass die Mutter einer Freundin daran gestorben war. Die zahlreichen Fachtermini ließen die Erkrankung noch bedrohlicher auf mich wirkte. Als Kind wirkte dieser Tumor wie ein böser Traum auf mich, den ich weder greifen noch verstehen konnte.
2015 ereilte unsere Familie der nächste Schicksalsschlag. Die Diagnose: ein Riesenzellgranulom – ein gutartiger Tumor, der allerdings so aggressiv und schnell wuchs, dass er meinem Stiefpapa das Jochbein zerfraß. Mit diesem Ereignis wurde mit bewusst, warum viele Menschen von Krebs reden, als wäre die Krankheit ein lebendiges, wachsendes Wesen.
Für uns als Familie war diese Nachricht ein schwerer Schlag. Ich habe damals bereits in Berlin gewohnt und bin oft nach Hause gefahren, um meine Familie zu unterstützen. Doch viel machen konnte ich nicht; nur zuhören, hoffen und da sein. Von der Diagnose bis zur Operation verging viel Zeit. Lange war unklar, ob es überhaupt eine Operation geben würde. Es dauerte Wochen, bis sich ein Chirurg fand, der die notwendigen Qualifikationen besaß, um den komplizierten Eingriff durchzuführen. Die OP selbst war eine ganz eigene Herausforderung – sie dauerte Stunden. Stunden, in denen wir nicht wussten, ob er sie überleben würde oder nicht, ob der Tumor entfernt werden kann oder nicht. Glücklicherweise verlief die Operation ohne Komplikationen – den Umständen entsprechend, wie man so schön sagt. Anschließend lag mein Stiefvater noch eine längere Zeit im künstlichen Koma, wobei ich nicht sagen kann, ob es Tage oder Wochen waren. Besonders Lebensabschnitte, die einen persönlich stark belasten, werden häufig verdrängt.
Im Herbst 2017 trat die Krankheit erneut auf. Eine weitere OP wäre zu gefährlich gewesen, weswegen die Ärzt:innen versuchten, den Tumor mittels einer Strahlentherapie zu bekämpfen. Kurz beschrieben klingt der Verlauf der Krankheit fast wie ein Spaziergang, doch war es ein ewiger, anstrengender Prozess von der Diagnose bis zur Therapie. Da ein Tumor in solch spezieller Form bisher noch nicht häufig aufgetreten ist, waren sich die Ärzt:innen untereinander nicht einig, welche Therapieform die geeignetste für meinen Stiefvater wäre. Wir waren bei der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, bei der Onkologie und schließlich bei der Neurologie.
Letztendlich mussten sich meine Eltern für eine Therapieform entscheiden und hoffen, dass diese die richtige für ihn sein würde. Durch die Bestrahlung wurde der Tumor weitestgehend zerstört. Eine gänzliche Entfernung des Granuloms ist jedoch nicht möglich. Durch die Einschränkungen im Alltag, sein entstelltes, vernarbtes Gesicht wird er täglich an die Krankheit und ihre Folgen erinnert. Trotz allem kämpft er immer weiter, für sich und für unsere Familie. In den folgenden Jahren erlebten wir immer weitere aufs und abs. Zeiten, in denen wir dachten, es wird alles gut und Zeiten, in denen wir nicht mehr weiter wussten.
Der Tumor veränderte unsere Familie, mein Stiefpapa versteckte sich hinter seiner Arbeit. Letztendlich wirkte der Tumor im Kopf sich auch auf die Stimmung meines Stiefpapas aus. Es gab Momente, in denen man in kaum wiedererkannte. Meiner Mama uns mir fiel es immer schwerer, damit umzugehen und ein normales Leben zu führen. Für meine Mama war es besonders schlimm. Ihr Leben bestand nur noch daraus, sich zu kümmern, sei es die Gespräche mit den Ärzt:innen, Anträge für neue Therapien, Besuche im Krankenhaus und sogar das Wechseln von Verbänden und Säubern von Wunden. Sie war eine wahre Superheldin.
Im Sommer 2021 ging es plötzlich ganz schnell. Nach mehreren Krankenhausbesuchen ging es meinem Stiefpapa immer schlechter. Am 18. Juni erlag er den Folgen seiner Erkrankung. Meiner Mama und mir war die Tatsache, dass dies geschehen würde, damals wahrscheinlich bewusster als ihm.
Im Sommer 2016 erkrankte mein Papa. Die Diagnose: Lungenkrebs im Endstadium. Die Behandlung – ein Gesamtpaket aus Chemotherapie, Bestrahlung und Immuntherapie – schlug nicht an. Er hatte Brandflecken auf der Haut, wurde immer dünner und konnte kaum mehr laufen. Jedes Mal, wenn ich ihn besuchte, ging es ihm schlechter. Es wurden zusätzlich Tumorherde in seinen Knochen und Metastasen im Gehirn gefunden.
Mein Papa verlor seine Haare, sein Gesicht war eingefallen, seine Haut rau wie Schmirgelpapier, er wurde immer dünner. Nach einiger Zeit konnten wir nicht mehr telefonieren, seine Stimme war zu schwach. Fast alle zwei Wochen fuhr ich nach Hause. Mein Leben und meine Gedanken richteten sich ausnahmslos nach der Krankheit meines Papas. Er spielte seine Erkrankung damals immer herunter und erzählte mir, dass alles wieder besser werden würde, dass er wieder gesund werden würde. Ob er selbst daran glaubte, wusste ich nicht. Ich füllte viele seiner Anträge und Papiere aus und organisierte seine Arztberichte. Ich half ihm von der Couch zu seinem Stuhl und vom Stuhl zurück zur Couch.
Als ich mir den ersten Bericht vom Arzt durchgelesen habe, stieß ich auf das Wort Palliativ-Therapie. Damals wusste ich nicht, was der Begriff bedeutete. Heute weiß ich: Es sind lebensverlängernde Maßnahmen. Die Ärzte wussten, dass er sterben würde und ich wusste es auch. Er wollte es mir nicht sagen oder glaubte wahrhaftig daran, dass er den Krebs besiegen konnte. Mein Vater verstarb schließlich ein Jahr nach Diagnose der Krankheit.
Ich habe gefühlt ewig gebraucht, um einen einigermaßen guten Umgang mit der Erkrankung und dem Tod der beiden zu finden. Ich hab liebe Menschen von mir weggestoßen, mich verschlossen. Heute weiß ich, dass ich einiges falsch gemacht habe. Ich wusste es nicht besser. Letzten Endes habe ich einen Weg gefunden, einen besseren Umgang mit der Krankheit Krebs zu finden.
Zusammen mit meiner Freundin und Mitgründerin Thora habe ich im Frühjahr 2019 mit der Konzeption und Recherche für Pathly angefangen. Die Idee für unser Projekt kam uns damals durch ein Radiointerview auf, welches zusammen mit der Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs aufgenommen wurde. In dem Interview wurde die Geschichte von Claudia erzählt. Ich fand ihre Art damals so positiv und inspirierend, dass ich kurzerhand zum Telefon griff. – Schwupps hatte ich Felix am Telefon und das Projekt ist ins Rollen gekommen.
Mit Pathly soll eine Plattform entstehen, die Krebspatient:innen und ihren Angehörigen dabei hilft, den richtigen Umgang mit der Erkrankung und auch den möglichen Folgen zu finden – etwas, was mir damals einfach gefehlt hatte. Pathly soll auffangen, Pathly soll inspirieren und Halt geben. Pathly soll Mut machen, denn mir hat es Mut gemacht. Die Arbeit an Pathly hat mir geholfen, über die Erkrankung meines Papas reden zu können, keine Angst mehr zu haben, positiv in die Zukunft zu blicken und meine Gedanken und Gefühle mit meinen Liebsten zu teilen. Kurz: Pathly hat mich stärker gemacht!«