»Mein Name ist Sören, ich bin inzwischen 31 Jahre alt und war bei meiner Leukämie-Erkrankung 27 Jahre alt. Damals hatte ich eine feste Freundin und sowohl Verlobung als auch Kinderwunsch waren in Planung. Die Krankheit führte zum Ende der knapp acht Jahre langen Beziehung, sodass der Kinderwunsch vorerst erledigt war.
Die Diagnose und die klare Aussage der Ärzte, dass meine Fruchtbarkeit unter der Behandlung leiden würde, war in dem Moment nicht das Problem. Da hatte ich andere Sorgen, und es war für mich lange Zeit nicht klar, ob ich das Jahr überhaupt überleben würde. Daher hatte die potenzielle Unfruchtbarkeit beim Erstgespräch mit den Ärzten keine großen Wirkungen auf mich. Mir wurde nahegelegt, meine Spermien einzufrieren, um so eine Chance zu haben, später meinen Kinderwunsch mit meiner Partnerin umzusetzen. Der Empfehlung bin ich gefolgt, habe meine Spermien also durch Einfrieren gesichert. Die Kosten trage ich bis heute selbst, da ich nicht darüber informiert wurde, dass die Krankenkasse zur Kostenübernahme verpflichtet ist. (Anmerkung: Seit dem 1. Juli 2021 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine Kryokonservierung von Spermien vor einer keimzellschädigenden Therapie)
Erst nach einem Jahr begannen meine vermutliche Unfruchtbarkeit und die Auswirkungen auf meinen Geist und Körper in meinem Kopf zu wirken. Als ich das Krankenhaus verlassen und langsam wieder im Leben landen durfte, ist mir das ganze Thema erst richtig bewusst geworden. Ich habe am Anfang extreme Probleme mit meinem Körper gehabt, sei es fehlende Libido, fehlende mentale Stärke um ›ihn‹ aufrecht zu halten, die Vermutung der Unfruchtbarkeit oder schlicht der neue Umgang mit dem Thema Sexualität allgemein. Wenn man quasi ein Jahr seinen eigenen Körper gehasst hat, ist es eine unbeschreibliche Herausforderung, dann intim mit jemand anderem zu werden. Das kennen und empfinden vermutlich nur andere Betroffene so. Sobald es zu etwas intimeren Momenten kam, herrschte in meinem Kopf ein Kampf negativer Gedanken: ›Ich sehe scheiße aus‹, ›Er wird bestimmt wieder streiken‹, ›Ich kann eh keine Kinder bekommen, was denkt sie sich wohl dabei?‹, ›Habe ich überhaupt Lust?‹. Dieser Kampf ist auch nach mittlerweile fünf Jahren definitiv noch vorhanden und jeder intime Kontakt ist eine Herausforderung.
Heute bin ich immer noch nicht dazu gekommen beziehungsweise habe nicht den Mut gefunden, prüfen zu lassen, ob ich überhaupt noch Kinder zeugen kann und wie der allgemeine Zustand ist. Der eigene und gesellschaftliche Druck ist bei dem Thema Fruchtbarkeit wahnsinnig groß und hemmt mich beim Aufklären des IST-Zustands. Lange war das Thema mir egal und nicht so wichtig, quasi ein ›wird ja schon passen‹. Durch Leukämie wurde ich ins kalte Wasser geworfen, und ich habe damit auch heute noch nicht abgeschlossen. Ob ich noch fruchtbar bin, ist nicht geklärt, allerdings habe ich keine ernsthaften Hoffnungen mehr. Den Fertilitätstest möchte ich machen, doch die Anmeldung ist für mich ein Aufstieg auf den Mount Everest, eine gigantische Aufgabe, vor dessen Ergebnis ich offen gesagt Angst habe. Denn wäre ich unfruchtbar, würde ein großer Teil meiner ›Männlichkeit‹ einfach weg sein. Jedenfalls aus Sicht der Gesellschaft, die die Zeugungsfähigkeit bei Männern voraussetzt. Auch wenn ich weiß, dass dieser Gedanke Unsinn ist, belastet er mich enorm.
Meiner Meinung nach sollten besonders Ärzte im Bereich Empathie und Einfühlungsvermögen deutlich besser ausgebildet werden. Wenn ein Oberarzt beim Thema fehlende Libido einfach Viagra verschreibt, ist das weder psychologisch noch menschlich in der Situation angemessen. Denn das Körperliche ist nur ein winziger Teil eines Mechanismus, welcher wie ein Uhrwerk abgestimmt ist. Da hilft es nicht, wenn man im übertragenen Sinne einfach Öl drüber gießt. Es sollten vielmehr die Zahnräder geprüft werden. Leider passiert dies viel zu wenig, und so steht der Betroffene oft allein da mit seinen Sorgen, Fragen und Ängsten. Auch darf das Thema allgemein kein Tabuthema mehr sein und sollte offen besprochen werden, mit dem nötigen Feingefühl auf ärztlicher Seite.«